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„… sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau …“ (Gal 4,4)

Sitzende Maria mit Jesus im Schoß liegend

Der imaginäre Vorhang ist geöffnet. Die Betrachtenden haben einen freien Blick auf das zentrale Geschehen des göttlichen Dramas.

Was die Betrachtenden erkennen, entspricht nicht ganz dem, was im Weihnachtsevan­gelium verkündet wird: „Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind fin­den, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt“ (Lk 2,12).

Keine Krippe, kein Futtertrog, keine Liegefläche aus Stroh ist zu sehen. Und das neu­geborene Kind trägt auch keine Windeln. Was wir sehen, ist eine Frau, eine Mutter, die nicht mehr von der Geburt geschwächt scheint, sondern fast entspannt ihren Sohn auf dem Schoß hält. Und das Kind – auch schon etwas kräftiger - liegt da völlig nackt.

Wir sind verwundert über diesen Anblick. Welche Mutter würde ihr Kind in dieser Weise präsentieren, und dann noch „wildfremden“ Menschen? Würde sie nicht eher seine Blöße bedecken, weniger aus Scham, als vielmehr zum Schutz. Die Würde dieses neugeborene Kind gilt es zu schützen, wie die Würde eines jeden Kindes oder eines jeden anderen Menschen auch.

Wir merken es: Die Dom-Krippe „löst“ sich hier von der Erzählung des Lukasevangeliums und geht schon mehr zur Deutung über. Vielleicht denken wir an eines der ältesten Zeugnisse im Neuen Testament, das uns im Philipperbrief vorliegt: „Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen“ (Phil 2, 6-7).

Sitzende Maria mit Jesus im Schoß liegend

Maria zeigt uns, den Betrachtenden, den Sohn Gottes (vgl. Lk 1,35) als den Menschgewordenen, als denjenigen, der ganz Mensch geworden ist und so der Menschensohn (vgl. Mt 16,13).

Wir, die Betrachtenden, sind hier keine „Wildfremden“, sondern diejenigen, um derentwillen der Sohn Gottes Mensch geworden ist. Wir gehören zur „Familie“ dazu. In dem Kind begegnet uns der, der einer von uns geworden ist – unser Bruder -, um einer für uns sein zu können – unser Erlöser.

Maria erscheint hier als diejenige, die uns darbietet, was Gott uns gibt, seine Liebe, unverhüllt und verletzlich: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat (Joh 3,16).

Das Drama, in das wir eingeführt werden, besteht nicht nur aus einem Akt, sondern aus mehreren. Weihnachten ist nur ein Teil der Theo-Dramatik (Hans Urs von Balthasar). Das Kreuz gehört mit dazu. So heißt es im Philipperhymnus weiter: „Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,7b-8). Das Ende des Weges deutet sich hier bereits an.