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„Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden.“ (Lk 2,33).

Lebensgroße Figuren der Heiligen Familie aus Holz geschnitzt

Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass Josef nicht – wie man es vielleicht erwarten würde -, auf das Kind schaut, das auf dem Schoß seiner Mutter Maria liegt. Josef schaut über Maria und das Jesuskind hinweg, scheinbar „ins Leere“.

Der Blick Josefs geht über den Augenblick hinaus. Es ist ein Blick in die Zukunft. Was wird die Zukunft bringen?

Zwar hat der Engel ihm am Anfang im Traum eröffnet, was die Sendung des Kindes sein wird, nämlich das Gottes Volk von seinen Sünden zu erlösen (vgl. Mt 1, 21), eine Sen­dung, die im Namen, den er dem Kind geben soll - JESUS (hebräisch: Jeschua[i]) -, zusammengefasst ist. Aber was bedeutet das? Wie wird der Weg aussehen, den das Kind – und damit auch er und Maria – werden gehen müssen?

Die wenigen Schriftstellen bei den Evangelisten Matthäus und Lukas, in denen Josef Erwähnung findet, machen deutlich, dass weder Maria noch Josef eine genaue Vorstel­lung davon gehabt haben, wozu sie Gott im Glaubensgehorsam ihr Jawort gegeben haben, im Fall von Maria ausdrücklich ins Wort gefasst (vgl. Lk 1, 38), im Fall von Josef durch das Tun zum Ausdruck gebracht (vgl. Mt 1, 24).

Maria und Josef gehen ihren Weg mit dem Glaubenswissen von Gott, das ihnen vermittelt worden ist, von ihren Eltern, von all den Generationen vor ihnen: Ihr Gott ist der Gott, der mit Israel, seinem Volk, einen ewigen Bund geschlossen hat. Dieser Glaube bestimmt ihr Leben. Das wird im Lukasevangelium deutlich, wenn es dort heißt: Sie erfüllen, was das Gesetz des Mose vorgeschrieben hat (vgl. Lk 2, 22. 39), und dies sowohl zu Beginn des Lebens Jesu (vgl. Lk 2, 21-39), als auch in all den folgenden Jahren (vgl. Lk 2, 41-42). Aus diesen wenigen Angaben darf gefolgert werden, dass die heilige Familie ihr ganzes Leben gestaltet hat nach den Weisungen, die im Gesetz des Mose aufgeschrieben sind.

Aber das Große, das im Leben von Maria und Josef geschieht (Lk 1, 49) - sie wirken mit im Heilsplan Gottes, bei der Verwirklichung des Planes Gottes, dass sein Sohn Mensch wird -, übersteigt das bisher ihnen „Vermittelte“ und von ihnen „Gelernte“. Es muss geweitet und vertieft werden, Schritt für Schritt:

Detailansicht vom Kopf von Josef

Zunächst im staunenden Wahrnehmen (Lk 2, 33), was alles an Großem geschieht, was Maria und sicherlich auch Josef „im Herzen bewahren“, worüber „sie nachdenken“ (vgl. Lk 2, 19. 51),

Aber auch im konfrontierenden Unterscheiden: Vater ist nicht der, der dem Recht nach als solcher eingetragen ist (vgl. Lk 2, 1), sondern Vater ist Gott selbst: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“, erwidert der zwölfjährige Jesus, als seine Mutter nach einer langen Suchaktion ihm vorwirft: „Dein Vater (Josef) und ich haben dich voll Angst gesucht.“ (Lk 2, 49).

Später wird Jesus es noch deutlicher sagen: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat und sein Werk zu Ende zu führen“ (Joh 4, 34).

Und auch Maria, seine Mutter, muss erfahren, dass bei aller Wertschätzung ihr gegen­über die irdischen Bindungen zurücktreten hinter dem, was seine Sendung ist, was der Wille des himmlischen Vaters ist: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 12, 50).

Der Weg, der vor Maria und Josef, vor der heiligen Familie liegt, wird kein leichter sein. Was der greise Simeon Maria prophezeit, kann auch auf Josef bezogen werden: „Dir wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2, 35). Widrigkeiten müssen sie bestehen. Die Flucht nach Ägypten ist dafür ein Bild (vgl. Lk 2, 13-23).

Dennoch ist der Blick des Josef in die Zukunft kein Blick ins Leere. Es ist ein Blick des Gottvertrauens, ein Blick eines Menschen, der zwar nicht sieht (was noch aussteht), aber doch glaubt (vgl. Joh 20, 29).

Maria und Josef von hinten fotografiert im Hintergrund betende Menschen

Josef stirbt, bevor der Weg des öffentlichen Wirkens Jesu beginnt. Davon müssen wir ausgehen, denn er findet in den Evangelien später keine Erwähnung mehr. Die Zeichen, die Jesus wirkt als Ausweis seiner Vollmacht, hat er demnach nicht gesehen. Josef ist nicht wie Maria Zeuge von Tod und Auferstehung Jesu geworden[ii]. Ähnlich den Patriarchen des Alten Testaments - Abraham, Issak und Jakob - ist er voll Glauben gestorben, ähnlich ihnen hat er nur „von fern geschaut“ (vgl. Hebr 11, 13). Die Erfüllung der Verheißung, die er erhalten hat (Mt 1,21), erfährt er nicht. Und doch „sieht er mehr“ als die Patriarchen und Propheten, denn er begleitet den Weg des menschgewordenen Gottessohnes hautnah in das Leben hinein.

Wie oft wird Josef im Verlauf des Lebens des heranwachsenden Jesus zurückgeschaut und sich erinnert haben an den Anfang, als der Engel Gottes ihm eröffnete, was es mit dem Kind, das Maria erwartete, auf sich hat (vgl. Mt 1,20-21). Wie viele Situationen des gemeinsamen Lebens in der Familie - sicherlich nicht nur die Wallfahrt nach Jerusalem, als Jesus zwölf Jahre alt gewesen ist (Lk 2,41-52) - kommen ihm in den Sinn, in denen ihm deutlich geworden ist: Das Kind, für das er sorgt, ist der „Sohn Gottes“ (Lk 1,35), der „Sohn des Höchsten“ (Lk 1,32).

So wird Josef am Ende seines Lebens sicherlich auch gesagt haben können, was er den greisen Simeon zuvor hat sagen hören, als er und Maria das neugeborene Kind in den Tempel gebracht hatten: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2, 29-32).

 

[i] Abkürzung von Jehoschua (= Jahwe ist Heil).

[ii] In den Evangelien ist zwar nicht erwähnt, dass der Auferstandene seiner Mutter erschienen ist. Aber wie sagt es der heilige Ignatius von Loyola in seinem Exerzitienbuch: Man betrachtet es als „mitgesagt“, da berichtet wird, er sei so vielen anderen erschienen. „Denn die Schrift setzt voraus, dass wir verständige Einsicht haben“ [Exerzitienbuch, Nr. 299].